Vor einigen Tagen erklärte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, der "Mufti von Jerusalem" Amin al-Husseini habe eine "zentrale Rolle als Anstifter zur Endlösung" gespielt. Hitler habe die Juden zunächst nicht vernichten, sondern vertreiben wollen. Der Mufti habe ihn daraufhin aufgefordert, sie zu verbrennen, um ihre Flucht nach Palästina zu verhindern.

Wer war jener Mufti von Jerusalem? Und was ist mit dieser Aussage Netanjahus anzufangen, die – nicht nur von Historikern – vehement zurückgewiesen und verurteilt wurde?

Wer war dieser Mann?

Amin al-Husseini war in den 1920er und 1930er Jahren ein führender arabisch-nationalistischer Politiker aus einer einflussreichen Jerusalemer Familie. Die britische Kolonialmacht ernannte ihn 1921, obwohl er für antijüdische Propaganda und Gewalt verantwortlich gemacht wurde, zum Mufti von Jerusalem, nicht aufgrund seiner – geringen – Qualifikation, sondern vielmehr, um konkurrierende Familien und nationalistische Akteure zu schwächen. Über zehn Jahre kollaborierte er mit den Briten.

Nachdem er im Laufe der 1930er Jahre umschwenkte und sich kurz nach Beginn gewaltsamer Unruhen und Streiks 1936 an die Spitze militanter und terroristischer Strukturen drängte, deren Aktivitäten er organisatorisch und finanziell unterstützte, musste er aus dem Mandatsgebiet Palästina fliehen. Zunächst aus dem französisch verwalteten Libanon, dann aus dem Irak versuchte er weiterhin, militante Strukturen zu unterstützen; vor allem aber organisierte er ein umfangreiches Netzwerk, das in arabischen Ländern antikoloniale sowie antizionistische und offen antisemitische Propaganda zu verbreiten suchte.

Wie kam Husseini ins nationalsozialistische Deutschland?

Nach dem Scheitern eines vom nationalsozialistischen Deutschland halbherzig unterstützten antibritischen Militärputsches im Irak 1941 floh Husseini zunächst nach Italien und dann nach Deutschland und suchte die aktive Kollaboration mit den Achsenmächten. In den Jahren zuvor hatte er italienische und deutsche Unterstützung gesucht und in geringeren Umfängen finanzielle und propagandistische Hilfe erhalten, sich aber auch gleichzeitig immer wieder den Briten als Verhandlungspartner angeboten. Nun präsentierte er sich als "Führer der Muslime und Araber" und bat um Zusagen für die Unabhängigkeit der arabischen Staaten nach einem Sieg der Achse. Im Austausch stellte er sich dem nationalsozialistischen Propagandaapparat zur vollen Verfügung, dessen antisemitische und antibritische Propaganda sich mit seiner eigenen Agenda deckte.

Wie viel Einfluss hatte er in NS-Deutschland?

Rolle und Einfluss des Muftis sind der mit Abstand am häufigsten thematisierte Aspekt der Beziehungen zwischen Nationalsozialismus und arabischer Welt, das Thema war und ist hochgradig aufgeladen und Teil von Debatten über den israelisch-palästinensischen Konflikt oder modernen Islamismus. Erst in jüngerer Zeit setzt sich zumindest in der Forschung eine wirklich fundierte und quellenbasierte, differenzierte Sicht durch, ein Beispiel ist etwa Francis Nicosias jüngste Studie Nazi Germany and the Arab World.

Deutlich wird dabei, dass Husseini kaum irgendeinen Einfluss auf führende Kreise des nationalsozialistischen Apparats hatte. Er versuchte, seine Anwesenheit und seine Möglichkeiten für seine Agenda auszunutzen, doch insbesondere nutzten nationalsozialistische politische und militärische Strukturen seine Anwesenheit, wo es ihnen propagandistisch und strategisch nützlich erschien, etwa im Rahmen der letztlich gescheiterten Projekte einer NS-Mullahschule oder einer muslimischen SS-Division. Die größte Wirkung hatten wohl Husseinis Reden und Meldungen über seine tatsächlichen oder vermeintlichen Aktivitäten, wie sie als Teil der deutschen Rundfunkpropaganda im Nahen Osten ausgestrahlt wurden. Wie jüngere Forschungen zeigen, hatte er jedoch auf diese, anders als immer wieder kolportiert, keinerlei direkten Einfluss – wo es den deutschen Propagandaverantwortlichen nützlich erschien, griffen sie auf ihn zurück.

Wie folgenreich war die Kollaboration Husseinis mit der Achse?

Die radikal antisemitische deutsche Propaganda wurde in den arabischen Ländern wahrgenommen, als eines unter diversen konkurrierenden Propaganda- und Deutungsangeboten. Auch schmückte diese sich zwar mit einem "Großmufti", einem "Führer der Araber und Muslime", jedoch war der nicht vorhandene reale politische Einfluss Husseinis vor Ort so manchem Hörer ebenso bewusst, wie die Tatsache, dass die verschiedensten politischen Fraktionen und Parteien diverse Anführer hatten. In der arabischen Öffentlichkeit existierte, wie jüngste Arbeiten von Israel Gershoni und Götz Nordbruch unter anderem zeigen, eine Pluralität an Positionierungen zum Deutschen Reich: zwischen Faszination, Sympathie, Ablehnung und Schrecken.